LIBERIA

Am 10. Oktober 2023 fanden die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Liberia statt. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Amtsinhaber George M. Weah (CDC) und dem vormaligen Vizepräsidenten unter Presidentin Ellen Johnson Sirleaf, Joseph N. Boakai (UP), kam es am 14. November zu einer Stichwahl. Nach der Auzählung der Stimmen am 17. November räumte President Weah (49,11%) seine Niederlage ein und gratulierte dem Wahlgewinner Boakai (50,89%).
Weah: „Tonight, the CDC has lost the election, but Liberia has won. This is a time for graciousness in defeat, a time to place our country above party, and patriotism above personal interest. I remain your President until the handover of power, and I will continue to work for the good of Liberia. Let us heal the divisions caused by the campaign and come together as One Nation and One United People. May God bless Liberia, and may we continue to strive for a brighter future together. Thank you, and good night.“ (Daily Observer)
20 Jahre nach dem Ende des langen Bürgerkriegs und fünf Jahre nach dem Abzug der UN-Mission kommt es nun zum dritten Mal zu einem friedlichen Regierungswechsel.

„Geister der Vergangenheit. Nur 20 Jahre nach einem der blutigsten Bürgerkriege der Welt vollzieht Liberia einen friedlichen Machtwechsel. Aber weist er in die Zukunft?“ (Dominic Johnson/taz, 28.11.23)

(Foto: Blick über eine Mauer am internationalen Flughafen von Liberia, 2007, während der UN-Mission)

Spotlights on LIBERIA 2003-2018

Die Veranstaltung Spotlights on LIBERIA, 2003-2018 fand im Juli 2018 im Afrika-Haus in Berlin-Moabit statt und beleuchtete anlässlich des ersten Regierungswechsels nach dem Bürgerkrieg die im selben Jahr endende Ära der UN-Mission UNMIL in Liberia.

Abraham. Liberia – Ukraine – Deutschland

Abraham ist eigentlich eine Geschichte von zwei Abrahams. Vater und Sohn: Abraham Sr. und Abraham Jr. Die Geschichte führt letztlich zu Abrahams Juniors Aufenthalt in Deutschland.

Die Geschichte

Abraham Sr. (27.04.1960 – 24.08.2014) hatte als Erststudierender in seiner Familie – weit weg von der Hauptstadt, im Nordwesten von Liberia – ein Stipendium für ein Medizinstudium erhalten. Um 1977 wohnte er ca. 2 Jahre bei uns in Monrovia. Meine Schwester und ich, noch Schulkinder, mochten ihn sehr. Nach dem Regierungsputsch von 1980 mussten wir Liberia nach fünf Jahren verlassen. Die Situation im Land wurde immer schlimmer und bald kamen keine Briefe mehr von Abraham.

Liberia stürzte in einen 14 Jahre währenden Bürgerkrieg, der erst 2003 mit dem Einzug einer großen UN-Mission endete.
2007 konnte ich Liberia im Rahmen einer Forschungsreise mit der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen erstmals wieder besuchen.
Es gelang mir, Abraham nach 24 Jahren wieder zu finden. Er arbeitete als Oberarzt am fast völlig zerstörten größten Krankenhaus in Monrovia. Er hatte sich in Tanzania als Internist spezialisiert und lebte noch mit seiner Frau und vier Kindern in einem Slum im Zentrum Monrovias. Wir blieben fortan im engen Kontakt – e-Mail machte dies nun möglich. Als Spezialist für HIV wurde Abraham Sr. zu Kongressen überall in der Welt eingeladen und er konnte bald ein kleines Haus am Stadtrand bauen.

2014 brach die Ebola-Epidemie in Liberia, Sierra Leone und Guinea aus. Monrovia versank in einem totalen Desaster. Abraham Sr. war einer der ersten unter den wenigen Ärzten im Land, der an einer Ebolavirusinfektion starb.

* * *

Ich versuchte, einen Weg zu finden, um Abrahams ältester Tochter zu ermöglichen, ihr Medizinstudium in Deutschland fortzusetzen. Ich setzte mich mit einer Kampagne für die ad hoc-Einrichtung eines Stipendienprogramms für Medizin-Studierende aus den von Ebola so sehr betroffenen Ländern ein – erfolglos. Der jungen Frau gelang es schließlich, in Uganda weiter zu studieren.

2018 ging Abrahams drittes Kind, Abraham Jr., im Alter von noch 18 Jahren zum Medizinstudium in die Ukraine.

Als am 24.02. 2022 der Angriff Russlands die Welt aufschreckte, erkundigte ich mich sogleich bei Abrahams Mutter nach seiner Situation. Er war mit ein paar Kommilitonen und etwas Handgepäck nach Moldau geflohen, ohne dort irgendeinen Kontakt zu haben. Ich lud ihn für’s Erste zu mir nach Berlin ein.

Am 11. März 2022 kam Abraham in Berlin an und bezog ein Zimmer in meiner Wohnung. Er besuchte einen Deutsch-Kurs und studierte online an seiner Uni in Odessa weiter. Er hatte wie alle aus der Ukraine Geflüchteten nur einen „Fiktionsausweis“ erhalten. Diese unbestimmt-temporäre Aufenthaltsgenehmigung sorgte insbesondere für Geflüchtete aus Drittstatten für äußerst prekäre Lebensumstände. Nachdem sich abzeichnete, dass Abraham auf absehbare Zeit nicht würde wieder in der Ukraine leben und studieren können, suchten wir intensiv nach einem Studienplatz. Das war extrem mühsam, da wichtige Dokumente in Odessa zurückgeblieben waren und es sehr schwer war, eine Übersetzerin für die vorhandenen Dokumente zu finden. Sein Medizinstudium fortzusetzen war schon aufgrund der höchsten sprachlichen Anforderungen aussichtslos. Schließlich gelang Abraham die erfolgreiche Bewerbung für den englischen Studiengang der Gesundheitsinformatik an der Technischen Hochschule Deggendorf, European Campus Pfarrkirchen.

Am 22.09.22 zog Abraham Jr. nach Pfarrkirchen, bezog ein Studentenwohnheimzimmer, meldete seinen neuen Wohnsitz an und beantragte ein Studentenvisum beim Landratsamt Rottal-Inn. Nachdem er endlich seinen verlängerten Pass aus Liberia in den Händen hielt und eine lange Liste an Anforderungen erfüllt war, erhielt Abraham eine Aufenthaltsgenehmigung zu Studienzwecken für ein Jahr.

Die Herausforderung

Was macht die Situation von Abraham Jr. – von allen 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Studierenden aus Drittstaaten – strukturell so besonders schwierig?

Ausgangsposition
Vorab: Studierende aus Drittstaaten, die in der Ukraine studieren konnten, gehören nicht zu den Privilegiertesten: Ein Medizinstudium in der Ukraine war vergleichbar günstig. Ein Studienplatz war für viele Familien gerade noch erschwinglich, einmal dort, mussten sich die oftmals sehr jungen Studierenden halblegal durchschlagen, denn jobben durften sie dort offiziell nicht. Nicht nur Corona-bedingt fanden viele Kurse nur online statt und schon hier hatten manche Studierende das Gefühl, dass recht gut an ihnen verdient wurde. Sie aber standen unter dem enormen Erfolgsdruck, baldmöglichst mit einem Abschluss in der Tasche und besten Karriereaussichten wieder nach Hause zu kommen.
In Deutschland befanden sich alle geflüchteten Studierenden aus Drittstaaten mindestens monatelang existenziell im Limbo, in einem Schwebezustand von Hier-leben-dürfen-und-können oder über kurz oder lang plötzlich doch nicht mehr. Eine „Fiktionsbescheinigung“ (gemäß §24 i.V.m. §81 Abs. 3 S.1 AufenthG) als unbestimmte temporäre Aufenthaltsgenehmigung wurde Dank Innenministerin Feser ausdrücklich auch den Geflüchteten aus Drittstaaten zugestanden – allerdings mit der Einschränkung einer früher oder später stattfindenden Einzelfallprüfung. Bis dato dürften auch diese Studierenden hier leben, einen Wohnsitz anmelden, Sozialleistungen beziehen, arbeiten und studieren.
Diese äußerst volatile, unübersichtliche Situation erforderte rasche weitreichende persönliche Entscheidungen auf der Basis fehlender und unklarer Informationen: Sollte an der ukrainischen Uni soweit möglich online weiterstudiert werden, um sobald möglich dorthin zurück zu kehren? Sollte auch rasch ein Deutsch-Kurs und ein Job gesucht werden, um sich wenigstens vorrübergehend hier eine Existenz zu sichern? Sollte irgendwie versucht werden, hier möglichst schnell an das fortgeschrittene Studium anzuschließen? Letzteres auch wenn fehlende Sprachkenntnisse, fehlende (in der Eile liegengebliebene) ukrainische Studien-Dokumente und die große Schwierigkeit, beglaubigte Übersetzungen zu erhalten, die Auswahl der in Frage kommenden Studienfächer sehr einschränken würden?

Zwischenlösungen:
In Berlin hatten fünf Personen Glück: sie können heute relativ sorgenfrei studieren, weil sie glücklicherweise zufällig rechtzeitig auf das (uns damals nicht bekannte) Förderprogramm „Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule“ gestoßen waren und rasch und effektiv gefördert werden konnten. Viele andere betroffene Personen fallen inzwischen durch fast alle Maschen der aufenthaltsrechtlichen und sozialen Netze. Viele vormalig fortgeschrittene Medizinstudierende haben immer noch nur „Fiktionsbescheinigungen“, wohnen mit fingierter Anmeldung und arbeiten im Mindestlohnsektor. Manche arbeiten als Assistent*innen in der Pflege, um dann eventuell mit den geforderten Deutsch-Kenntnissen eine Pflegeausbildung zu beginnen.
Die Wenigen, die wie Abraham aufenthaltsrechtlich in den Studierenden-Status wechseln konnten, mussten zumeist ein komplett neues Studium anfangen, da Studiendokumente fehlten oder nicht anerkannt werden konnten. Mit dem Wechsel vom Geflüchteten-Status zum Aufenthaltstitel zu Studienzwecken (gemäß §16b Abs.1 AufenthG) verlieren sie die Möglichkeit, BAfög zu beantragen und werden plötzlich trotz Fluchtgeschichte wie Kinder wohlhabender Eltern behandelt. Sie müssen nachweisen, dass sie die Lebenshaltungskosten inklusive einer Krankenversicherung komplett selber aufbringen können.
Die konkreten Bedingungen für diese Studierenden sind mitunter fragwürdig: Auf dem winzigen „European Campus“ der Technischen Hochschule Deggendorf in Pfarrkirchen, wo Abraham studiert, sind fast alle Studierende aus dem Ausland und studieren in englischsprachigen Vollzeitstudiengängen. Die Studierenden zahlen in Pfarrkirchen ihre Mieten, kaufen dort alles ein, aber einigermaßen gute Jobs sind sehr schwer zu finden und zum Hauptcampus in Deggendorf brauchen die ÖPNV-Busse über zwei Stunden!

Wie weiter?

Wie weiter?
2022 erforderte die Erlangung eines Studentenvisums für nicht EU-Bürger beim Landratsamt Rottal-Inn den Nachweis eines „Sperrkontos mit Verfügungsbeschränkung, Mindestguthaben 10.332,00 €“. Die Summe orientiert sich am BAfög-Satz und beläuft sich inzwischen auf 13.308,00 Euro. Diese Summe muss jährlich neu nachgewiesen werden.
Es ist uns bislang zusammen mit viel Unterstützung von Privatpersonen und von der Hilfsorganisation Vision:Teilen gelungen, die Finanzierung und damit die Aufenthaltsgenehmigung und das Studium von Abraham sicherzustellen. Inzwischen trägt Abraham mit einem Job auch wesentlich hierzu bei. Jedoch bleibt die Finanzierung bis zum Erreichen des Bachelor-Abschlusses Anfang 2027 noch eine riesige Herausforderung.

Das erste Studienjahr konnte noch durch einen wesentlichen Beitrag von Abrahams Mutter (inzwischen hat sie ihre langjährige Anstellung verloren) und einer sehr großzügigen Spenderin gesichert werden.
Das zweite Studienjahr konnte im September 2023 mit Hilfe von Vision:Teilen und der erfolgreichen Spendenkampagne – Aufenthaltserlaubnis zum Studium für Abraham! – gesichert werden. Mit dem Nachweis des wieder aufgefüllten Sperrkontos erhielt Abraham eine verlängerte Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeit für zwei Jahre – bis 16.11.2025.

Seit Ende August 2024 bis Ende 2024 versuchen wir mit einer neuen Spendenkampagne  – Hier weiterstudieren und Liberia wiedersehen! – die Finanzierung des dritten Studienjahres (WS 24/25 und SS 25) zu unterstützen.
Abrahm trägt inzwischen wesentlich mit einem Studentenjob zur Finanzierung bei. Allerdings ist es nicht möglich bei einem Mindestlohn und der Arbeitszeitbeschränkung für Studierende den erforderlichen Betrag in voller Höhe zu erwirtschaften. Den Besuch seiner Familie hat Abraham wieder aufgeschoben. Er sucht derzeit nach einem bezahlten Praktikumplatz im Bereich (Gesundheits-)Informatik.

Gemeinsam  suchen wir nach einer bis zum Bachelor tragenden Lösung.

Abraham Sr., Monrovia, um 1977

Abraham Jr., Pfarrkirchen, 2023

Pressefotografie

Hier entsteht bald eine Bildergalerie mit meiner Sammlung von Pressefotografie zu Liberia.
Im November 2022 fand Ein Gespräch mit der Kunsthistorikerin Eva Bentcheva über diese Sammlung statt.

 

in Arbeit …