MISCELLANEA

„Miscellanea“ ist Latein und bedeutet: Vermischtes. Das Wort klingt nach einem Ozean voller kleinster Organismen.
Das verwandte deutsche Wort „Miszellen“ (von lat. miscella ‚Gemischtes‘) ist die Bezeichnung für eine Rubrik, unter der diverse Kurztexte veröffentlicht werden.

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CLOSER TO NATURE
Bauwende
Mit, statt gegen die Natur bauen.
Diese Bauten atmen, wachsen, sind lebendig. Pilz, Baum und Lehm sind Partner.
Verschiedene Disziplinen, modernster Technologien und traditioneller Praktiken greifen ineinander: Pilzforschung, Baubotanik, Lehmbau …
(Friederike Hoberg, Sven Pfeiffer/MY-CO-X, Ferdinand Ludwig/Ola, Martin Rauch/Lehm Ton Erde Baukunst)
Natur vs. Architektur
Vor natürlichen Einflüssen wie Witterung oder wilden Tieren zu schützen, ist die elementare Funktion des Bauens. Deutlicher noch als andere diente diese Kulturtechnik dazu, die Natur zurück-zudrängen, zu überwinden und im besten Falle nutzbar zu machen. Dementsprechend beschrieb Le Corbusier, einer der Heroen der Moderne, noch 1925 das Bauen von Städten als „eine Tat des Menschen wider die Natur.“
Kritik und Gegenentwürfe, sowohl utopisch-visionäre als auch realisierte und erfolgreiche, gab es in der Architekturgeschichte immer wieder. Insbesondere in Berlin rund um die IBA 1987 entwickelte sich eine ökologische Architekturbewegung. Auch sie setzte auf Naturbaustoffe und versuchte, Gebäude stärker in die Kreisläufe ihrer natürlichen Umwelt zu integrieren, Sonnenenergie und Regenwasser zu nutzen, mit vorgefundener Vegetation behutsam umzugehen und diese in die Bauten einzubinden. Nicht zuletzt die seit der Wiedervereinigung auch politisch beförderten Diskurse um „Kritische Rekonstruktion“ und Hauptstadtwerdung verschoben den Fokus und ließen solche Ansätze größtenteils wieder versiegen. Die historisierende Architektur, die heute vielerorts entsteht, ist davon ebenso eine Folge wie die Tatsache, dass die Opposition von Natur und Architektur immer noch ungebrochen ist. Diese bestimmt weiterhin vor allem eine Konkurrenz um Raum und Ressourcen. Doch scheint es angezeigt, diese Beziehung zukünftig neu zu denken.
Nachhaltige Architektur
ist nicht allein technisch, etwa mit Fokus auf ökologische Baustoffe und Energieeffizienz, definiert, sondern auch kulturell, indem sie das gewohnte Verhältnis von Architektur und Natur hinterfragt und für unsere nicht-menschliche Umwelt sensibilisiert.
(Nach/Aus Texten zur Ausstellung „Closer to Nature. Bauen mit Pilz, Baum, Lehm“ in der Berlinischen Galerie, 16.02.24 – 14.10.24)

Wie „close to nature“ wurde das Echsenhaus (Wohnhaus von 1870, Anbau und Scheune von 1926) gebaut?

Wie „close to nature“ war die lange Zeit der „Verwahrlosung“, der Prepper-Ära und Hortung der Militärfahrzeuge?

Wie „close to nature“ ist nun die Wiederinstandsetzung?
Pflanzen und Tiere haben sich über Jahrzehnte des Echsenhauses bemächtigt, eine Sanierung, ein teilweiser Abbruch erfordern ihre Berücksichtigung – jedenfalls wohl im Sinne jener kulturellen Dimension von nachhaltiger Architektur und von Co-habitation. Aber was bedeutet das konkret für eindringende Bäumchen und Efeu, für teils seit Generationen dort hausende Spinnen, Vögel, Ratten, Waschbären? Schon mit der gründlichen Räumung mussten viele von ihnen gehen. Unendlich viele Spinnen stoben in alle Himmelsrichtungen auseinander, Nester wurden verlassen, Ratten fanden nicht mehr die gewohnten Nahrungsberge und Waschbären zerstörten zu viel und wurden in die Flucht geschlagen. Etwas retten bedeutete hier, etwas anderes zerstören. Da stellt sich nur die Frage: Ist die Rettung die Zerstörung wert? Habitate für Menschen gegen Habitate von anderen Tieren. Weil man’s kann – und muss. Den Anderen das Haus überlassen, es ökologisch-freundlich verfallen lassen ist keine Option. Das Echsenhaus steht zu nah an der Straße. All die Investition von Arbeit und Geld wäre dahin.
(13.10.24)

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K.K.
Welch fatale Begegnung zweier Männer Anfang der 1990er Jahre: K.K. (1935-2020), ungewollt-geschiedener vierfacher Vater, als Kind vom Bauernhof im Böhmerwald in der damaligen Tschechoslowakei vertriebener Holzingenieur in der Entwicklungszusammenarbeit, aus Esslingen im Schwabenland, trifft auf B.K. (1934-2023), verwöhnter, verarmter, alleinstehender, alteingesessener Bauernsohn aus Olsberg-Antfeld im Sauerland. Der eine, der einst Heimat und dann auch Familie verlor, erwarb 1992 das Hausgrundstück des anderen, um ihm in der Not der Insolvenz eine spätere Rückkaufoption zu schaffen. Sein Motto: „Probleme dieser Welt können wir lösen!“ Ihr gemeinsames Hof-Problem nahmen sie jedoch beide mit ins Grab. Der eine konnte diesen völlig verwahrlosten Grundbesitz, den er nur selten besuchte, nicht mehr vor seinen Kindern geheim halten, der andere, durchgehend dort hausende, konnte ihn nicht mehr gegen die Erben des anderen verteidigen. In bäuerlicher Herkunft und extrem traditionellem Glauben freundschaftlich verbunden, bildeten sie eine jahrzehntelang währende, mit der bösen Welt hadernde und sich gegen diese verschanzende Haus-Schicksalsgemeinschaft aus der Ferne und bis zum Schluss per „Sie“.

K.K. hat heute Geburtstag, er wäre 89 geworden. Vor fast 5 Jahren ist er gestorben. Seit fast 5 Jahren mühen wir uns mit seinem Echsenhaus ab, räumten es und versuchen, seinen Fall aufzuhalten, es in gute Hände zu übergeben.
(12.10.24)

Nov. 2015, K.K. und B.K.,
bei Madonna auf dem Hamberg in Antfeld

Nov. 2015, B.K. und K.K.:
„Probleme DIESER Welt können wir lösen!“